Vulkane und ihre Ausbrüche faszinieren seit Jahrhunderten Kultur und Wissenschaft. Es sind Berge mit einem bis heute unberechenbaren Charakter. Meistens sind sie ruhig und friedlich. Urplötzlich jedoch werden sie aktiv und brechen aus. Gewaltige Massen an Feuer, flüssiger Lava und Rauch verändern innerhalb kurzer Zeit ganze Landstriche. Sie bringen einerseits Zerstörung, sind aber auch Garanten für eine neue Fruchtbarkeit der Erde.
In der römischen Mythologie ist Vulcanus der Gott des Feuers und ist als Schmied zugleich Inbegriff der schöpferischen, phantasievollen Möglichkeiten. Diese Doppeldeutigkeit von Zerstörung und Neuerschaffung gilt seit der Antike als Sinnbild für Kreativität. Von da an wird das Schöpferische in der Kulturgeschichte ebenfalls mit chaotischen und zerstörerischen Aspekten in Verbindung gebracht. So sagt Nietzsche 1883 in Also sprach Zarathustra: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären“.
Von dieser Idee des Kreativen fühlt sich die Künstlerin Christiane Cicéron angezogen. Seit Jahren setzt sie sich mit der Dynamik und der Aufruhr der Elemente auseinander. Zunächst stehen dabei Wetterphänomene, wie aufziehende Gewitter in Brandenburg, in ihrem Fokus. Die Arbeit Rhapsodie, 2021 zeigt ein goldgelb leuchtendes Rapsfeld mit schweren grauschwarzen Gewitterwolken. Der Horizont kündet von der Dynamik dieses Naturschauspiels. In der Mitte des Blickfeldes geht das Gelb des Rapsfeldes in das Grau des Himmels über. Diese Berührung zwischen Erde und Himmel ist farblich zart abgestuft. Auf feinsinnige Weise gelingt der Malerin die Beschreibung dieses atmosphärischen Übergangs.
In ihrer jüngsten Serie erweitert die Künstlerin ihr Repertoire um das Element Feuer. Inspiriert wurde sie durch ihre Reise auf die kanarische Insel La Palma, deren Vulkan 2021 ausgebrochen ist. Künstlerisch nähert sie sich auf großen Formaten der Naturgewalt des feuerspuckenden und dampfenden Vulkans an. Die Kraft der Natur beeindruckt sie. Mit energisch ausladendem Duktus gelingt es ihr malerische Äquivalente zu schaffen, die die Eruption des feuerspuckenden Berges einfangen. Dabei bewegen sich die Arbeiten am Rande der Abstraktion: rotorangene Lavaströme strömen den Berg zum Meer hinunter, begleitet von weißem Rauch und Wasserdampf. Alles auf ihrem Weg Befindliche wird überrollt und entflammt.
Christiane Cicéron spürt der transformierenden Kraft des Feuers mittels einer differenzierten künstlerischen Handschrift nach. Die Lavaströme sind pastos auf den Bildgrund gestrichen, partiell sogar geschleudert. Hier wird die Farbe als Materie sichtbar. Die Variationsbreite der Maltechniken ist bemerkenswert.
An den Stellen, an denen sich die feurige Lava ins Meer ergießt, brodelt die Wasseroberfläche: Weiße, türkisfarbene und senkrechte Pinselstriche verdeutlichen die dynamische Begegnung von Feuer und Wasser. Wohingegen die Berge partiell von einem feinen Schleier von Wasserdampf umhüllt werden.
Eine weitere Reise der Malerin auf die kanarische Insel Fuerteventura, die ebenfalls vulkanischen Ursprungs ist, dient der genauen Erforschung der verschiedenfarbigen Erden. Das Farbspektrum ist enorm. Alternierende Erdfarben von Braun bis Ocker bestimmen den Charakter dieser Insel. Die Bilder, die nach den langen Wanderungen über die Insel entstehen, demonstrieren die differenzierte Auseinandersetzung mit der Vegetation und den Bodenschätzen dieser Landschaft. Immer wieder ist die Künstlerin von den Übergängen zwischen Berg, Himmel und Meer gebannt. Also den Passagen, die von Veränderlichkeit bestimmt werden. Im Zentrum ihrer Wirklichkeitsaneignung stehen daher immer wieder die Berge als Mittler zwischen diesen beiden Elementen: Bergkuppen, die orange bis rostrot changieren und von beige-gelben Wolkenschleiern überfangen oder teilweise eingehüllt werden. Am Fuße brandet das Meer.
Das Werk Inspiration Fuerteventura, 2022 verdeutlicht den differenzierten malerischen Übergang von Berg, Meer und Himmel eindrucksvoll. So nehmen die schwarzen, pastosen Wellen des Meeres sowohl die Rottöne des Berges als auch die Weißhöhungen der Wolken auf. Das kosmische Band der Natur wird fühlbar.
Die Vulkanbilder der Malerin Christiane Cicéron stehen in einer langen kunsthistorischen Tradition von Johann Wolfgang Goethe, der während seiner italienischen Reise 1787 den Vesuv bestieg und dazu eine Zeichnung fertigte, die einen bedrohlichen eruptierenden Berg zeigt, über William Turner, der zwischen 1817 und 1820 ein Aquarell des ausbrechenden Vesuv schuf, bis zu Andy Warhol, dessen farbige und furchteinflößende Siebdruckserie Vulcano von 1985 ein Synonym für das zerstörerische Unterbewusste, das in jedem Menschen schlummert, darstellt.
Schöpferische Zerstörung ist in die Metapher des Vulkans eingeschrieben. Diese Kraft erforscht die Künstlerin in ihren Werken. Kunst ist Energie, Ausdruck, Ausbruch. Davon künden die Werke der Malerin Christiane Cicéron.
Andrea Katharina Schraepler
Kunsthistorikerin
Juni 2022